Die „Sondermeldungen“ vom 29. Juni 1941

Der 29. Juni 1941 – ein Sonntag – war ein besonderer Tag im Deutschen Reich – zumindest aber in der deutschen Rundfunkgeschichte. [1]

Der sieben Tage zuvor begonnene Überfall auf die Sowjetunion hatte in weiten Kreisen der Bevölkerung Bestürzung ausgelöst und selbst Propagandaminister Joseph Goebbels machte „eine leicht deprimierte Stimmung“ aus, weil „jeder neu aufgemachte Kriegsschauplatz“ Sorgen und Ängste auslöse.

Bereits einen Tag später machte Goebbels aber erste Fortschritte aus. Zwar sei die allgemeine Stimmung „noch schwankend“, weil der Angriff zu plötzlich gekommen sei und sich die Bevölkerung zunächst Zeit benötige, um sich an die neue Lage zu gewöhnen, doch das, so hielt er zuversichtlich im Tagebuch fest, werde „nicht lange dauern“. Dafür hielt er es allerdings für notwendig, erste Siege bekanntzugeben.

Genau das aber geschah zunächst nicht. Die offiziellen Berichte von der Ostfront fielen anfangs betont zurückhaltend aus und sprachen lediglich wenig konkret von „planmäßig“ verlaufenden Kämpfen. Gegen den Rat von Goebbels hielt Hitler dann auch in den folgenden Tagen an der faktischen Nachrichtensperre fest, was seinen Propagandaminister laut seines Tagebuchs zusehends beunruhigte: „Allmählich wirkt sich doch unser Schweigen sehr nachteilig auf unsere Propaganda aus.“ Als er sich selbst mit seiner Empfehlung durchsetzen konnte, zumindest dosiert erste Siege zu verkünden, fügte er hinzu, dass sich die Bevölkerung bereits „Illusionen“ mache, als deren Ursache er „unser langes Schweigen“ ausmachte.

Hitler aber ließ sich trotz allen Drängens nicht von seiner Strategie abbringen: „Der Führer will erst am heutigen Sonntag mit einer Sturzflut von Sondermeldungen heraus. Darauf bereiten wir alles vor“, notierte Goebbels dann aber am frühen Morgen des 29. Juni 1941, ohne von einer solchen Strategie gänzlich überzeugt zu sein.

Genau eine Woche nach dem Überfall auf die Sowjetunion war es also so weit: Ab 11 Uhr vormittags verkündete der Reichsrundfunk am 29. Juni 1941 im Halbstundentakt eine Siegesmeldung nach der anderen, ein Dutzend insgesamt. Eingeleitet wurden die Mitteilungen jeweils mit dem Thema aus Franz Liszts Komposition „Les Préludes“, das bald darauf nur noch die „Russland-Fanfare“ hieß.

Inwieweit sich die erhoffte Wirkung einstellte, ist letztlich nur schwer zu entscheiden. Begeisterung bei Regime-Gegnern wie die Widerstandskämpferin Ruth Andreas-Friedrich war ohnehin nicht zu erwarten: „Sondermeldung … Sondermeldung … Sondermeldung. Wir halten uns die Ohren zu. Wir wollen nichts mehr hören“, umriss sie ihre Stimmung. Aber auch viele jener, die Hitler seit dem Sieg über Frankreich bewunderten, reagierten in ihrer Mehrheit nicht so, wie in der Reichskanzlei erhofft. „Es ist bald zu viel. Am Ende sogar eine leichte Ermüdung im Abhören zu verzeichnen“, notierte Goebbels als Ergebnis des Bombardements mit Sondermeldungen: „Die Sache ist in ihrer Absicht zu dick aufgetragen. Aber ich hatte rechtzeitig, doch vergeblich gewarnt.“ Am 30. Juni ergänzte er: „Im Volke und auch im Ausland wird viel an unseren zwölf Sondermeldungen vom Sonntag herumkritisiert. Mit Recht! Das war eine gänzlich verfehlte Aktion.“

Ob das tatsächlich zutraf oder nur Ausdruck gekränkter Eitelkeit des mit seinen Empfehlungen gescheiterten Propagandaministers war, muss dahingestellt bleiben. Aber auch die Beobachtungen des Sicherheitsdienstes der SS bestätigten Goebbels skeptische Sicht: Nach der „übersteigerten Erwartung“ durch Gerüchte vom 22. bis 29. Juni 1941 sei eine „gewisse Enttäuschung festzustellen“, heißt es in dessen „Meldungen aus dem Reich“. Viele Deutsche hätten geglaubt, „dass der Kampf bereits noch weiter ins russische Land hineingetragen worden sei“. Die Nachrichten von der Ostfront riefen nicht „die gleiche Begeisterung“ hervor wie im vorangegangenen Jahr die Berichte von der Westfront: „Die Ursachen hierfür liegen darin, dass ein siegreicher Vormarsch von der durch militärische Erfolge verwöhnten Bevölkerung einfach erwartet wird.“

In der Großfamilie Roos, in jedem Fall aber bei Günther Roos, scheinen die Sondermeldungen hingegen sehr zur Aufhellung beigetragen zu haben. Nach dem Besuch der sonntäglichen Messe traf man sich im Familienkreis bei Klugs und hörte dort offenbar gemeinsam eine Sondermeldung nach der anderen. „Fantastische Erfolge“, kommentierte Günther.

Das Sondermeldungen-Sonderprogramm am 29. Juni 1941:

Die hier präsentierte Aufnahme ist eine Zusammenstellung der Sondersendungen aus (teilweise) unvollständigen Teilmitschnitten, die der Kölner Dr. Peter Huverstuhl am 29. Juni 1941 direkt vom Radiogerät auf Decelith-Folie mitschnitt. Die Aufnahme enthält daher auch Wiederholungen, Ansagen, Musiken und weitere Kommentare, damit das Programmgeschehen soweit wie möglich erhalten bleibt. Eine genaue Einordnung der Zusammenfassungen ist jedoch nicht ganz gesichert. Klar ist aber, dass diese in Köln aufgezeichneten Rundfunksendungen genau jene waren, die Günther Roos im benachbarten Brühl an diesem Sonntag zeitgleich hörte.

 

Mit freundlicher Genehmigung des Historischen Archivs der Stadt Köln

Fußnoten

[1] Die Darstellung folgt in Teilen https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article156662709/Zwoelf-Siegesmeldungen-aus-Russland-waren-zu-viel.html

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