„Vom Pimpf zum wehrhaften deutschen Mann“

Am 16. März 1935 wurde im Deutschen Reich die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt, am 26. Juni folgte die Arbeitsdienstpflicht. Damit sahen sich die männlichen Jugendlichen ab etwa dem 18. Lebensjahr gleich mit zwei neuen Verpflichtungen konfrontiert, die mit den Durchführungsverordnungen zum HJ-Gesetz vom 1. Dezember 1936 dann im März 1939 noch um die Jugenddienstpflicht ergänzt wurden. Von diesem Zeitpunkt an waren sämtliche Mädchen und Jungen ab dem 10. Lebensjahr erfasst und verpflichtet, den aus den verschiedenen Dienstpflichten resultierenden Aufgaben nachzukommen.

Den umfassenden Zugriff, den Staat und Partei damit ausüben konnten und natürlich auch ausübten, fasste der im Parteiverlag der NSDAP erscheinende „Illustrierte Beobachter“ bereits unmittelbar nach Einführung der Arbeitsdienstpflicht am 27. Juni 1935 so publikumswirksam wie deutlich in der vierseitigen Bildergeschichte „Vom Pimpf zum wehrhaften deutschen Mann“ zusammen, der gleichsam bereits das gesamte „Erziehungs“-Programm des NS-Staates für die Altersgruppe der 5- bis 25-Jährigen zum Ausdruck brachte:

„Der junge Mann, der heute zur militärischen Ausbildung zur Wehrmacht einrückt, ist schon vielfältig geschult: Im Jungvolk, in der HJ, in der SA, vor allem aber körperlich ausgebildet im Arbeitsdienst, der pflichtmäßig zu leisten ist. Die nationalsozialistische Schulung, die der junge Mann auf diese Art und Weise durchgemacht hat, ist Gewähr dafür, dass er nicht mehr nur sein Jahr ‚abdient‘ als lästige Aufgabe, die nun einmal zu erfüllen ist, sondern dass er auch erfasst hat, dass und warum er, um der Ehre der Staatsbürgerschaft des Dritten Reiches teilhaftig zu werden, der Ehrenpflicht des Wehrdienstes für sein Deutsches Volk zu genügen hat. Andererseits erhält die Wehrmacht Leute, die nicht ahnungslos und ungelenk aus dem Zivilberuf kommen, sondern die neben körperlicher Ausbildung auch schon geistige Schulung genossen und den Wertz und die Notwendigkeit der Kameradschaft kennengelernt haben. So kann das Deutsche Volk stolz auf seine Jugend sehen und vertrauensvoll auf seine Zukunft, die dieser Jugend in die Hand gegeben wird.“

Am bekanntesten wurde in dieser Hinsicht aber jene Rede, die Adolf Hitler am 2. Dezember 1938 in Reichenberg hielt. Darin äußerte er sich unmissverständlich zur zwangsweisen und gänzlich alternativlosen Einbindung der deutschen Jugend in das NS-System, die spätestens mit Erreichen des 10. Lebensjahres für ihr weiteres Leben „nicht mehr frei“ würde und darüber auch noch „glücklich“ sei.

 

Der Wortlaut

„Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und oft zum ersten Mal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter.

Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alle mit einem Symbol, dem deutschen Spaten (Beifall).

Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewusstsein oder Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre (Beifall), und wenn sie nach zwei oder drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und weiter, und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben (Beifall).

Und sie sind glücklich dabei, langsam verschwinden in ihrem ganzen Gesichtsfeld alle diese lächerlichen Vorurteile, unter denen vielleicht ihre Väter noch leiden mögen. Sie sehen sich ganz anders an. Sie haben allmählich den Menschen kennengelernt. (Beifall). Und wenn mir einer sagt, ja, da werden aber doch immer noch welche überbleiben: Der Nationalsozialismus steht nicht am Ende seiner Tage, sondern erst am Anfang. (Langanhaltender Beifall)“

 

Günther Roos kann sicherlich als eine Art Paradebeispiel für die gelungene Umsetzung des „Erziehungs“-Anspruchs des NS-Regimes gelten.

Fußnoten

[1] Zitiert nach Klaus-Peter Horn/Jörg-W. Link (Hgg.): Erziehungsverhältnisse im Nationalsozialismus. Totaler Anspruch und Erziehungswirklichkeit, Bad Heilbrunn 2011, S. 7f.

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