Das Pogrom in Brühl (10. November 1938)

Zum Ablauf des Pogroms in Brühl hat sich durch Zufall eine Quelle erhalten, die in erschreckender Deutlichkeit und Unmittelbarkeit die damaligen Ereignisse aus der Sicht eines Täters schildert. Der folgende Bericht wurde im Schreibtisch eines der später angeklagten lokalen Rädelsführer der Ausschreitung gefunden, dürfte mithin authentisch sein und wird unter der Signatur StAB 576 im Stadtarchiv Brühl aufbewahrt. Er existiert in zwei Versionen, wobei in einer der letzte Abschnitt („Wenn ich heute daran zurückdenke...“) fehlt. Dieser Abschnitt scheint der ersten – hier zitierten und als Bildstrecke abgebildeten - Version vom gleichen Verfasser etwas später hinzugefügt worden zu sein. Der Kernbericht wurde vor dem 5. Juli 1939 verfasst, dem Todestag von Bertha Brünell, von der es im Bericht heißt, sie lebe noch.

Hier nun der Bericht im Wortlaut:

„Der Tag der Judenaktion in Brühl und seine Folgen. Erzählt von einem aktiven Teilnehmer“

„Als am Mittwoch, dem 9.11.1938 anlässlich der Kundgebung im Belvedere bekanntgemacht wurde, dass Pg. v. Rath seinen Verletzungen, die ihm der jüdische Mordbube Grünspan beigebracht hatte, erlegen wäre, stand es für mich fest, dass das deutsche Volk sich die Schandtaten des Judentums nicht mehr länger gefallen lassen würde. Ich wollte schon in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag losschlagen. Auf Anraten des Ortsgruppenleiters Rösing nahm ich hiervon zunächst Abstand.

Am Donnerstagmorgen sagte ich zu K.D.: ,K. wir müssen etwas gegen die Juden unternehmen.‘ K. erwiderte mir, in Köln wäre schon reine Bahn gemacht und er wollte nur noch den Anruf des Sturmbannes abwarten. Um 10 Uhr rief der Sturmbann, als wir schon vor Ungeduld halb verrückt geworden waren, endlich an, wir sollten die Schaufenster zertrümmern, die Einrichtungen selbst aber nicht demolieren und die Juden nicht anfassen. Auf diesen Bescheid ging D., die auf der Stadtverwaltung beschäftigten SA-Männer J., M. und ich zum Stadtlager, um uns daselbst mit „Material“ zu versehen. Vorher hatten wir noch versucht, verschiedene zu solchen Unternehmungen geeignete Kameraden zu erreichen, was uns aber nur teilweise gelungen ist. Auf dem Stadtlager traf dann noch der Obertruppführer W. H. ein. Mit Eisenstäben bewaffnet zogen wir nun los. Unterwegs stieß noch der Obertruppführer T. zu uns. Zuerst kam der Judenladen Jülich auf dem Adolf-Hitler-Platz dran. D. und ich führten voller Grimm den ersten Schlag gegen die Schaufenster, dass es nur so klirrte und ich beinahe, da mir doch die nötige Routine fehlte, von einem herausfallenden meterlangen Glassplitter getroffen worden wäre. Dann ging es in den Saftladen selbst hinein, wo wir unter Wehgeheul der Juden, das uns wie lieblichste Musik in den Ohren klang, aufräumten. Für die Nerven der SA-Männer J. und M. war das zu viel. Sie wurden leichenblass, zitterten nur und verschwanden.

Wir aber kamen jetzt erst richtig in Fahrt und machten einen Judenladen nach dem anderen ‚fertig‘. Als diese Arbeit getan war, sagte ich: Jetzt auf zur Synagoge! Inzwischen war ganz Brühl auf den Beinen. Die Synagoge wurde säuberlich bearbeitet und sachgemäß in Brand gesteckt. Bei dieser Arbeit kam so richtig unser ganzer Zorn gegen diese Mörderrasse zum Ausbruch. Ein Teil von uns ist dann wieder zurück zum Lager gegangen, wo sich zunächst gestärkt wurde. Hierbei fiel mir ein, als ich eine Kanne Petroleum sah, dass man den Brand etwas beschleunigen könne. Gedacht, getan. Unter Mitnahme der Kanne wieder zurück zum Judentempel. Hier hatte sich eine große Volksmenge angesammelt, die uns (...), teils freudig und verständnisinnig, teils mit finsterer Miene verfolgte. Besonders die Kanne wurde mit großem Interesse betrachtet. In dem Judentempel war der Brand, den wir im ersten Stock angelegt hatten, schon so weit fortgeschritten, dass wir nur mit Mühe und Not und unter vielem Husten unser Petroleum ‚anbringen‘ konnten. Draußen sammelte sich immer mehr Volk an. Auch die hohe .Prominenz“ unter anderem Kreispropagandaleiter Pick, die Ortsgruppenleiter Rösing und Grenz, hatten sich eingefunden und betrachteten sachverständig das noch nie dagewesene Schauspiel. Plötzlich schlugen die hellen Flammen aus dem Dach heraus, und der Davidstern mit der Kuppel fiel in sich zusammen, um niemals wieder, solange Nationalsozialisten lebten, aufgerichtet zu werden. Das Feuer verbreitete sich jetzt mit rasender Geschwindigkeit. Das nördlich gelegene Nebenhaus geriet in Gefahr. Kreispropagandaleiter Pick wurde schon ganz aufgeregt. Ich sagte zu ihm: ‚Nur die Ruhe, Peter, die Feuerwehr ist immer im richtigen Moment zur Stelle!“ Und da kam die Feuerwehr, die bis dahin anderweitig verhindert war, schon angebraust und gab sich unter Mithilfe der in Zivil steckenden SA-Männer, die schon vorher vorbildlich den Verkehr auf der menschenüberfüllten Straße geregelt hatten, an die Arbeit. Wehrführer K. meldete dem Wehrführer B.: .Schadenfeuer in der Synagoge ausgebrochen, Ursache vermutlich Kurzschluss/An dem Nebenhaus ist durch das schnelle Eingreifen der Wehr nur ganz geringfügiger Brandschaden entstanden.

Zu unserer größten Freude wurde uns vom Ortsgruppenleiter Rösing mitgeteilt, wir könnten ganze Arbeit machen und auch in den Wohnungen der Juden alles zertrümmern, nur die Juden selbst dürften wir nicht anfassen.

Mit wahrer Wonne zogen wir aufs neue ins Gefecht. Und jetzt wurde ganze Arbeit, saubere Werkmannsarbeit geleistet. Zu allem traf auch noch unser H. B. als wertvolle Verstärkung ein. Um alle Einzelheiten ernster und heiterer Art zu schildern, müsste man ein ganzes Buch schreiben. Ich muss mich damit begnügen, einzelne Episoden zu erzählen.

Es war nun bekannt geworden, dass, nachdem wir das erste Mal bei Hope gewesen waren, der junge Jud den zertrümmerten Laden photographiert hatte. Als wir wiederkamen, war der Judenbengel verschwunden. Die Judenweiber wollten nicht wissen, wo er war. Bei der Durchsuchung des Hauses fand ihn unser H. auf dem Speicher in einem Verschlag. Als er den Jud herauszog, was gerade nicht ganz zärtlich (H. liebt die Zärtlichkeit nicht) geschah, trat der Itzig nach ihm. Dieses bekam ihm nicht gut. Unter wahnsinnigem Geheul der Judenweiber, die wahrscheinlich annahmen, er würde abgeschlachtet, wurde der Judenhund die Treppe herunterbefördert. Ich stand gerade unten an der Treppe, als mir das Schwein direkt auf den Fuß fiel. Dieses erzürnte mich sehr und ich musste meinem Zorn Luft machen, wobei mir der Jud als willkommenes Objekt diente. Auf die Frage, wo der den Photoapparat mit der Aufnahme gelassen hätte, sagte der Jude, er hätte den Apparat im Laden in ein Regal gelegt, wo der wäre, könnte er nicht sagen, da die Einrichtung des Ladens ja total zertrümmert wäre. Von dieser Aussage ging er nicht ab, selbst als ich ihm mit Erschießung drohte. Ich habe ihn dann liebevoll zur Polizeiwache gebracht. Auf dem Nachttische des alten Juden Hope stand ein Bild seiner verstorbenen Frau mit einem Lämpchen davor. Als ein SA-Mann den Zauber herunterschlagen wollte, schrie die Judentochter: ,Tun Sie das nicht!“ Der SA-Mann störte sich nicht an dem Wehgeschrei der Judennixe und haute den Zinnober herunter. Da schrie die Jüdin verzweifelt Jehova, Jehova, jetzt kommt die Mutter nicht in den Himmel!“ Als wir bei Hope anfingen, aufzuräumen, kam dieselbe Jüdin zu mir und sagte: .Lieber guter Herr S., hören Sie mich bitte nur eine Sekunde an!“ Ich sagte: ‚Hau ab, du Judensau!“ Als das Weibsbild immer aufdringlicher wurde und sogar meinen Arm drückte, riss mir die Geduld und ich klatschte sie gegen die Wand. Da war sie endlich kuriert und ließ mich in Ruhe.

Bei Brünells wollte mich eins von den Judenweibern nicht in die oberen Räume lassen, weil da angeblich ihre Mutter im Sterben läge. Nachdem ich sie zärtlich auf Seite geschoben hatte, wurden die oberen Räume auch in ‚Arbeit genommen“. Als ich in das Zimmer der angeblich sterbenden Mutter eindringen wollte, kam bei meinen Kameraden leider die deutsche Sentimentalität zum Vorschein und sie wollten die „Sterbende“ schonen. Ich allein wollte auch nicht den ‚Unmenschen‘ spielen. Die Belohnung für diese bei dem Judenpack ganz verfehlte Gutmütigkeit bekamen wir nachher, als in Brühl erzählt wurde, wir hätten die weinenden Kinder von der Leiche der Mutter weggerissen. Dabei lebt das alte Judenbiest leider heute noch.

Bei Bährs und Salms auf der Uhlstrasse wurde das ganze ‚Möbelmang“ durch das Fenster auf die Straße geworfen. Jetzt erreichte das ‚Brühler Volksfest“ seinen Höhepunkt. Ganz Brühl war auf den Beinen. Eine solche Volksmenge habe ich in Brühl noch nie gesehen. Der gesamte Verkehr auf der Hauptstraße stockte. Motorisierte Gendarmerie musste kommen, um in etwa den Verkehr aufrecht zu erhalten. Jedes Möbelstück, das heruntergeschleudert wurde, wurde mit viel Geschrei und haaa und ooh begrüßt. Die Kinder waren ganz außer Rand und Band. Wir waren kaum in der Lage, die Kerlchen zu bändigen. Sie waren im Gegensatz zu den Erwachsenen mit Leib und Seele dabei. Ich glaube, sie werden an diesen Tag noch denken, wenn sie selbst schon Großväter geworden sind.

Bei Bährs auf der Uhlstrasse ist übrigens dem Sturmhauptführer D. Unheil widerfahren. Als D. mit größter Wut einen Schrank umwarf, hatte er sich vorher nicht überzeugt, was der Schrank in seinem Innern barg. Und so folgte dieser barbarischen Tat die Strafe in Gestalt von herumspritzendem Pflaumen- und Birnensaft auf dem Fuß. Im Schrank standen nämlich in rauen Mengen Einmachgläser gefüllt mit allen möglichen Früchten. Unser guter K. stand im Moment wie ein begossener Pudel da, von oben bis unten bespritzt mit dem Saft. Die Brühe lief die Treppe herunter, so dass man nur mit größter Mühe wieder herunterkam. So ging es weiter zur Wallstraße, wo wir den Heumännern und dem Bähr einen Besuch abstatteten und einen ‚vorzüglichen Eindruck‘ hinterließen. Bei Heumanns brachen wir einen Tresor aus der Wand, stellten denselben auf der Polizeiwache sicher. Hier brachte die alte Heumanns die Unverschämtheit fertig, sich zu weigern, sich zur Polizeiwache zu begeben. Sie sagte ‚Das ist mein Haus, hier gehe ich nicht heraus!‘ Erst als ich ihr einige Fußtritte in den dreckigen Judenhintern versetzt hatte, bequemte sie sich dazu, das Haus zu verlassen.

Nachdem wir überall saubere Werkmannsarbeit verrichtet hatten und kein Stuhl mehr ganz geblieben war, erhielten wir die angenehme Nachricht, dass wir die bisher verschonte Jüdin N.N. auch besuchen dürften. Als ich gerade meinen Eisenstab, genannt ‚Remidemi‘ mal ganz harmlos an das Schaufenster geklopft hatte, brüllte jemand ‚Aufhören, aufhören!‘ Ich hielt ganz verdattert ein. Der Vertreter des Landrats, Dr. Wagner, ein alter Berliner SA-Mann verhandelte mit der Jüdin, die ja bekanntlich die italienische Staatsangehörigkeit hat. Wagner erklärte der Jüdin, ihr Laden würde geschlossen. Hierauf sagte ich, ob man anfangen könne und schlug mit großem Vergnügen in den Glasaufsatz auf der Theke. Leider musste ich aber auf Geheiß des Dr. Wagner aufhören. Plötzlich wurde der Befehl der Reichsregierung durchgegeben, Feierabend zu machen. Nachdem wir noch gegen verschiedene Schränke gelaufen waren, haben wir uns nach vollbrachter Arbeit einen Labetrunk gegönnt. Inzwischen mussten die Juden unter der bewährten Leitung unseres lieben H. die nötigen Aufräumungsarbeiten machen. In Reih und Glied angetreten, wurde ihnen von H. der Spruch vorgesagt: ‚Wir sorgen dafür, dass kein Deutscher mehr im Ausland ermordet wird.‘ Nach einiger Übung konnten die Juden den Sprach ganz nett sagen. Dann wurden sie von H. im Laufschritt zum Holzholen geführt. H. war aber von der ungewohnten Arbeit leider derart ermüdet, dass er öfter stolperte und dabei ungewollt mit den Füssen in den verlängerten Rücken der Judenschweine stieß.

Endlich senkte sich Ruhe und Frieden über das Städtchen und die müden Kämpen versammelten sich bei einem kühlen Tranke. Es ertönten die alten Kampflieder und es herrschte eine Stimmung wie in längst vergangenen Zeiten.

Wenn ich heute an diesen Tag zurückdenke, dann weiß ich nur noch, dass ich von einer grenzenlosen Wut erfasst war. Die Bedrückungen und Verfolgungen, die Schläge, die meine Kameraden und ich in der Kampfzeit erdulden mussten, die gemeine Gräuelhetze der Ausländer, die unermesslichen Leiden unserer Brüder in der Ostmark und in den Sudeten, die Mordtaten an unseren Brüdern Gustloff und vom Rath, alles das ging uns durch den Sinn. Und überall und immer wieder hinter allem der Jude! Nur die Parteidisziplin, das Verbot, die Schweine anzufassen, hat mich davon abgehalten, diesen Bestien den Schädel einzuschlagen, dass ihre Gehirne herumgespritzt wären, wie die Glasscherben der Schaufenster. Dieser Tag hat folgendes gezeigt:

1. Die Alten waren wieder da! Sie waren wieder die alten Aktivisten!
2. Träger der Aktion war, wie überall, so auch in Brühl, die SA.
3. Es hat sich erfreulicherweise gezeigt, dass viele SA-Männer, die nach der Machtübernahme eingetreten waren, inzwischen auch tatsächlich SA-Männer in unserem Sinn geworden sind.
4. Das Volk stand der Aktion im Allgemeinen ohne Verständnis, wenn nicht sogar ablehnend gegenüber.
5. Pack, das sich den Anschein der Judengegnerschaft gegeben hat, hat die Aktion zum Stehlen und Plündern missbraucht.“

Zum Pogrom in Brühl ist außerdem in der vollständig erhaltenen, im Stadtarchiv aufbewahrten Sammlung von Negativen des ortsansässigen Fotografen Fritz Neff folgende Bildserie vom Brand der Synagoge am Vormittag des 10. November 1938 überliefert.

Günther Roos erinnerte sich zeitlebens sehr gut an diesen Tag. Im Jahr 2012 schilderte er seine Erlebnisse am Vormittag des 10. November in der Schule und jene von Nachmittag in der Brühler Innenstadt:

 
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