Der Film „Ich klage an“ (1941)

Neben Antisemitismus wurde auch das Thema „Euthanasie“, also die Tötung Behinderter und die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ zum Filmthema und damit zu einem der düstersten Kapitel nationalsozialistischer Filmpolitik. In diesem Spektrum dominierten allerdings eindeutig die nichtfiktionalen Filmen, in denen eine rassenideologisch motivierte Zwangssterilisation oder gar die Tötung von Menschen propagiert wurde, so beispielsweise in „Das Erbe“ (1935), „Sünden der Väter“(1935), „Abseits vom Wege“ (1935), „Erbkrank“ (1936), „Opfer der Vergangenheit“ (1937), „Alles Leben ist Kampf“ (1937) oder „Was du ererbt“ (1939). Allein die drei erstgenannten drei Kurzfilme wurden 1936 in 500 Kopien in 681 öffentlichen und 3.912 geschlossenen Vorführungen der NSDAP gezeigt und kamen darüber hinaus auch in Schulen zum Einsatz.

Der einzige - dann allerdings auch herausragende - abendfüllende Spielfilm zu diesem Themenkomplex war der im August 1941 uraufgeführte Streifen „Ich klage an“. Seine Produktion war darauf zurückzuführen, dass das NS-Regime seit der Jahreswende 1940/41 eine vorsichtige „Euthanasie"-Propaganda für möglich und nötig erachtete und eine Entscheidung gegen die bisherigen Dokumentarfilmprojekte zugunsten eines breitenwirksamen Spielfilms traf.

Regisseur Wolfgang Liebeneiner wurde mit der Realisierung des Films beauftragt, in dem eine junge an multipler Sklerose erkrankte Frau ihren Gatten und einen Freund - beide sind Ärzte — um Sterbehilfe bittet. Im Schlusswort des Ehemanns, der dieser Bitte schließlich entspricht, wird die Intention des Films auf den Punkt gebracht: „Es geht hier nicht um mich, sondern um die Hunderttausenden jener hoffnungslos Leidenden, deren Leben wir gegen die Natur verlängern müssen und deren Qualen wir damit ins Widernatürliche steigern, und es geht um jene Millionen von Gesunden, denen kein Schutz vor Krankheit zuteilwerden kann, weil alles, was dazu notwendig wäre, verbraucht werden muss, um Wesen am Leben zu erhalten, deren Tod für sie eine Erlösung und für die Menschheit die Befreiung von einer Last wär.“

Das Reichspropagandaamt erteilte den Zeitungsredaktionen eine klare Presseanweisung zur Behandlung des Films. Das darin „angeschnittene Problem“ dürfe „weder positiv noch negativ behandelt“, sondern müsse „rein sachlich besprochen werden“. „Der Film behandelt das Problem der ‚Euthanasie‘. Dieser Ausdruck ist keineswegs zu gebrauchen. Dagegen kann erwähnt werden, dass in dem Film das Problem angeschnitten wird, ob einem Arzt das Recht zugestanden werden kann, auf Wunsch unheilbar Kranker deren Qualen zu verkürzen. Bei Behandlung dieses Films ist natürlich größter Takt am Platze.“ So sollte nicht nur die „Euthanasie“ propagiert, sondern zugleich die öffentliche Meinung zum Thema erkundet werden, was der Sicherheitsdienst der SS anschließend auch ausführlich tat.

Der Film fände, so berichtete der SD Mitte Januar 1942, „stärkste Beachtung", werde weiterempfohlen und intensiv besprochen, wobei der Großteil der Bevölkerung der Tendenz des Films zustimme. Allerdings musste in dieser Hinsicht bald einiges revidiert werden, denn insbesondere Vertreter der katholischen Kirche – an ihrer Spitze der Münsteraner Bischof von Galen – machten gegen die „Euthanasie“ massiv Front, was bis zu Boykottaufrufen gegen den Film reichte.

Dennoch erfuhr „Ich klage an!“ großen Zuschauerzuspruch, auch wenn der sicherlich nicht ausschließlich als Zeichen der Zustimmung zu werten ist. In der Liste der zwischen 1940 und 1942 meistgesehenen Spielfilme rangierte der Streifen mit rund 18 Millionen Besuchern immerhin an elfter Stelle und spielte damit 5,3 Millionen Reichsmark ein. Somit dürfte es dem Film zumindest teilweise gelungen sein, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von der - zunehmend verdeckt durchgeführten - Vernichtungsaktion abzulenken und die „Euthanasie" wieder zu einem eher privaten Problem zu machen.

Günther Roos bewertete den Film auch rückblickend noch als äußerst wirkungsvoll:

 

Kommentare - Zitate - Einordnung

„Ich klage an!“ entstand unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner und wurde am 29. August 1941 uraufgeführt.[1] Von der NS-Filmzensur wurde er als „künstlerisch besonders wertvoll“ und „volksbildend“ eingestuft. Wegen seiner Werbung zur Durchführung der „Euthanasie“ zählt dieser Propagandafilm zur Gruppe der „Vorbehaltsfilme“ und ist daher bis heute nur unter erheblichen Auflagen zu sehen.

Der Film erzählt die Geschichte einer unheilbar an multipler Sklerose erkrankten Frau, die auf ihr ausdrückliches Verlangen von ihrem Ehemann, dem Mediziner Professor Heyt, durch Verabreichung einer Überdosis ihres Medikaments getötet wird. Das letzte Drittel des Films nimmt der Strafprozess gegen Dr. Heyt wegen Mordes ein. Nach dem Schlusswort des Angeklagten, der ein Urteil fordert, endet die Handlung und lässt die Entscheidung über den Fall offen.

Zeitgenössische Kommentare

Im offiziellen Programmheft des „Illustrierten Film-Kurier“ wird der Film so vorgestellt:

„Professor Heyt und seine junge Frau Hanna leben in glücklichster Ehe. Der Professor hat sich aus ganz einfachen Verhältnissen zu der Stellung eines Wissenschaftlers herauf gearbeitet, die ihm nun auch gestattet, die äußeren Lebensbedingungen angenehmer zu gestalten. Ein festlicher Abend anlässlich der Berufung des Professors zum Leiter eines weltberühmten wissenschaftlichen Instituts soll das Glück der Eheleute bekräftigen. Während eines kleinen Hauskonzerts muss Hanna, die junge Frau, das Klavierspiel plötzlich aufgeben, - die linke Hand versagt ihr den Dienst. Als die Lähmung in den nächsten Tagen nicht nachlässt, lässt der Professor Hanna von Dr. Lang, dem Freund des Hauses, untersuchen. Mit Hilfe des Augenspiegels stellt Dr. Lang bei Hanna Multiple Sklerose fest, eine sehr schwere Krankheit, die oft zum Tode führt. Der Zustand der jungen Frau verschlimmert sich zusehends. Professor Heyt sieht nun seine große Aufgabe darin, den Erreger der Krankheit zu finden. Die Arbeit führt ihn zu anderen, bedeutenden wissenschaftlichen Ergebnissen. Das Ergebnis, das Hanna retten könnte, findet er nicht. - Es scheint mit der jungen Frau zu Ende zu gehen. Sie leidet, unrettbar verloren, unsägliche Qualen. Da greift der Professor zum Äußersten. Der lindernde Trank, den er ihr reicht, bringt ihr den Tod. „Oh, Thomas, wäre dies doch der Tod!“ sagt sie, und er antwortet mit einer Stimme, die alle Liebe, aber auch alle Verantwortung in sich birgt: „Ja, Hanna, es ist der Tod!“ Als sie nun hinüberschläft, leuchtet tiefe Dankbarkeit aus ihren Augen. - Schwere Vorwürfe werden gegen den Professor erhoben: es kommt zu einer Gerichtsverhandlung, zu einer Anklage wegen „Tötung auf Verlangen“. Sein Freund Dr. Lang, der erst seine Tat verurteilte und entschieden gegen ihn war, hat sich - als er in einer Heilanstalt das namenlose Unglück sah, das ihm der Anstaltsarzt vor Augen führte - nun zum Verteidiger Professor Heyts gemacht. Das Gericht und die Geschworenen sind bemüht, einen Freispruch herbeizuführen. Bisher hat Professor Heyt geschwiegen. Aber jetzt, als er sieht, dass die Anklage gegen ihn fallengelassen werden soll, jetzt klagt er an. Nach seiner flammenden Anklagerede bittet Professor Heyt um das Urteil.“

Im „Film-Kurier“ äußerte sich Georg Herzberg:

„Menschen leiden zu sehen und nicht helfen zu können, das ist die härteste Pflicht, die den Ärzten in ihrem Beruf auferlegt wird ... Wir erleben diesmal keinen Triumph des Arztes. Wir werden ergriffene Zeugen eines Kampfes, den der Mensch gegen höhere Gewalten führt ... Das Beglückende an diesem Film ist, dass er zu seiner zwingenden Wirkung mit dem Einsatz künstlerischer Mittel gelangt. Er ist fürwahr künstlerisch besonders wertvoll ... Heidemarie Hatheyer erfüllt mit diesem Film selbst höchstgespannte Erwartungen, mit denen man aufgrund ihrer letzten Filme ihrer neuen Rolle entgegensah. Sie legt in ihre Hanna Heyt alles, was die Seele einer jungen Frau ausfüllen kann: Liebe und Frohsinn, Zärtlichkeit und Stolz. Und sie lässt all das spürbar werden, was das furchtbare Wort unheilbar in sich birgt. Ohne äußerliche Mittel, ganz aus der Kraft des Ausdrucks heraus gestaltet sie die Stationen der Krankheit, den allmählichen Verfall, das Erkennen des Unabwendbaren.“

Die „Deutsche Filmzeitung“ schrieb:

„In diesem Film stehen zwei Momente in vorderster Front: Zunächst das Wort. In ihm bzw. in der Nuancierung der einzelnen Dialoge ist die Grundtendenz enthalten, die offenbart eine dichterische Gebundenheit, wie wir sie selten erleben konnten. Das zweite Moment ist die Mimik, das stumme Spiel. Dies verbunden mit dem Wort entfesselt die Dynamik, die von so intensiver Ausstrahlung ist, dass man alles ringsumher vergisst und noch Tage nachher ganz im Bann der gehabten Eindrücke steht.

Regie und Dichtung vereinigen sich in diesem Film auf das glücklichste ... Mit Erschütterung und dem beglückenden Bewusstsein einer wunderbaren Offenbarung erlebt man Heidemarie Hatheyer als die Frau des Forschers. Viel haben wir von der Hatheyer erwartet, viel hat sie uns schon im Film, mehr noch als auf der Bühne, zu schenken vermocht. Ihr Letztes aber gab sie diesmal. Die Wandlung, die sie vom lebenslustigen, übermütigen jungen Mädel zur leiderfahrenen Frau durchmacht, wie Gesicht, Körper, Bewegung, Mimik, Sprache zusammenklingen zu einer einzigen Harmonie, das ist schlechthin meisterlich. Die Hatheyer fand zwei große Partner. Da ist zunächst Paul Hartmann als ihr Mann ... Wer kann sich des Zaubers erwehren, der von dem Paar Hatheyer und Hartmann in ihren Soloszenen ausgeht. Und dieser Zauber ist immer lebendig, gleichviel ob es sich um heitere, ausgelassene Szenen handelt, oder um jene, die vom Schatten des Todes überstrahlt sind. Neben beiden steht Mathias Wieman als Arzt und Freund. Seine Haltung ist männlich und aufrecht, hinter seiner Verschlossenheit spürt man die Wärme eines tief menschlich empfindenden Herzens.“

Seitens des Tobis-Filmverleihs selbst wurde der Film im für die Presse zusammengestellten Material so gefeiert:

„Des Arztes heilige Aufgabe ist, dem Leben zu dienen und den Tod zu bekämpfen. Zuweilen aber gelangt gerade der gute, mitfühlende Arzt an jene Grenze, da ihm das Recht gebietet, das widerwillig glühende Lebensfünkchen eines hoffnungslos leidenden Menschen immer erneut anzufachen, während Herz und Vernunft ihm sagen, dass sein Tun sinnlos geworden sei, ja dass er Leiden verlängere, statt von Leiden zu erlösen. In diesen Zwiespalt führt der neue Tobis- Film, der ein Spitzenwerk deutscher Kunst ist und bleiben wird. Die Handlung erzählt, wie ein Universitätsmediziner, dem Befehl des Herzens gehorchend, seine Frau durch eine zu starke Dosis lindernder Tropfen von ihrem hoffnungslos gewordenen Todeskampf erlöst und darauf unter Mordanklage vor Gericht gezogen wird. Der behandelnde Arzt, bester Freund des Paares, der auch früher einmal die Frau geliebt hat, sagt dem Professor die Freundschaft auf, weil er sich gegen das Ethos des Arzttums vergangen habe. Zeugenaussagen vor Gericht klären nach spannendem Verlauf den Hergang der Tat so weit, dass es feststeht: Es war eine Tötung auf Verlangen, kein Mord. Dennoch muss der Professor bestraft werden; strenge Paragraphen wollen es so. Der Freund hat inzwischen sein Tun verstehen gelernt und bekennt sich vor Gericht zu ihm.

Unter Wolfgang Liebeneiners Regie ist hier eines der großartigsten Filmwerke entstanden, die jemals geschaffen wurden. Es ist gewiss kein ‚Spielfilm’ im alten Sinn - er gibt Leben, wie es wirklich ist, so herrlich und so furchtbar, wie es jeder von uns in Grenzsituationen durchstehen muss. Liebeneiner versteht die schwere Kunst, das Mosaik der einzelnen Einstellungen so dicht zusammenzufügen, dass nirgends ein Sprung bleibt: Es ist ein Film aus einem Guss, mit unerhört wirkungsvollen Steigerungen und mit Szenen von einer geradezu sprengenden Erlebniskraft. Wir denken etwa an jenen Auftritt, in dem Mathias Wieman - auf der Höhe seines schauspielerischen Könnens angelangt - bei der Untersuchung der Frau den ‚Blick in den Abgrund’ tut, das Todesurteil erkennt und doch gegenüber der heiter Scherzenden unbefangen zu bleiben versucht. Wir denken an das felsenhart geschlossene Antlitz Paul Hartmanns in den vielen Szenen, wo er sich über das Mikroskop beugt, von dem wilden Wunsche beseelt, in letzter Minute noch den Erreger der Todeskrankheit seiner Frau zu finden und dem Schicksal in den Arm zu fallen. Wir denken an die aus Grauen und Verzweiflung zu lichter Höhe führende Sterbeszene Heidemarie Hatheyers, deren ungekünstelte Natürlichkeit und erschütternde Leidenskraft sie uns tief ins Herz wachsen lässt...“

Im Pressematerial des Filmverleihs hieß es weiter:

„Worum geht es in diesem Film? ‚Hier stehe ich, Karl Thomas Heyt, und bekenne, dass ich meine Frau, die unheilbar krank war, auf ihren Wunsch erlöst habe. Hier stehe ich, der Angeklagte, und klage an. Ich klage die Vollstrecker überwundener Anschauungen und überholter Gesetze an. Es geht hier nicht um mich, sondern um die Hunderttausende jener hoffnungslos Leidenden, deren Leben wir gegen die Natur verlängern müssen und deren Qualen wir damit ins Widernatürliche steigern ... und es geht um jene Millionen von Gesunden, denen kein Schutz vor Krankheit zuteilwerden kann, weil alles, was dazu notwendig wäre, verbraucht werden muss, um Wesen am Leben zu erhalten, deren Tod für sie eine Erlösung und für die Menschheit die Befreiung von einer Last wäre ... und nun, meine Herren Richter und Geschworenen, bitte ich Sie um Ihr Urteil !’

Diese aufrüttelnden Schlusssätze des Arztes Professor Heyt vor dem Schwurgericht umreißen das gewaltige Problem dieses Films. Sie geben Ihnen, Herr Theaterbesitzer, zugleich einen Begriff von der Verantwortung, die mit der Werbung für diesen Film Ihnen auferlegt wird. Sie wissen, wie publikumswirksam das Arztmilieu im Film ist; die dramatische und spannende Gestaltung des Höhepunktes, die Schwurgerichtsverhandlung, ist immer von größtem Reiz für die Filmbesucher; die Fragestellung des Films: ‚Darf der Arzt einen unheilbaren Kranken töten?’, bewegt jeden Menschen zutiefst. Die Versuchung ist groß, nun mit allen erprobten Mitteln an reißerisch gestimmter Werbung zu arbeiten. Aber Sie dürfen und werden dieser Versuchung nicht erliegen? [...]

Die Schöpfer des Films haben in langer und mühevoller Arbeit, unter ständiger Beratung und Hilfe der größten Fachautoritäten dieses große und bedeutsame Thema filmisch so zu gestalten gewusst, dass jeder Ihrer Besucher im Innersten gepackt und gezwungen wird, sich mit dieser entscheidenden Frage auseinander zu setzen. Keiner kann sich der Debatte entziehen, die der Film unter Millionen entfesseln wird. Degradieren Sie also durch eine abgeschmackte Werbung diesen ernsten künstlerischen Film und seinen hohen ethischen Wert nicht zu einem sensationellen Reißer!“

Im „Zeitschriften-Dienst“ (ZD Nr. 5200: 122. Ausgabe, 29. August 1941) wurden damals als Vorgabe zur „Filmberichterstattung“ folgende Hinweise an die Journalisten gegeben:

„Der Tobis-Film ‚Ich klage an‘ behandelt in einer ergreifenden Spielfilmhandlung die Frage, ob der Arzt in besonderen Ausnahmefällen berechtigt sein soll, einem unheilbar Kranken auf dessen Wunsch hin seine Qualen zu verkürzen. In den Bildern und im Dialog des Drehbuchs wird mit höchstem menschlichen Ernst und ärztlicher Verantwortung eine seit langem umstrittene Frage der Medizin und des Rechts aufgegriffen. Wenn es auch nahe liegt, die in dem Film zum Ausdruck kommende Tendenz im Tenor der Kunstbetrachtungen anklingen zu lassen, so wollen wir uns doch davor hüten und lediglich den künstlerischen Gehalt dieses Films würdigen, zum Problem selbst aber und zu der vorgeschlagenen Lösung vorläufig weder positiv noch negativ in irgendeiner Form, auch nicht in selbständigen Arbeiten Stellung nehmen. Ebenso wollen wir den Ausdruck ‚Euthanasie‘ vermeiden. Der nach dem Roman von Hellmuth Unger außerordentlich spannend und gut aufgebaute Film bietet zudem durch die hervorragenden schauspielerischen Leistungen … genügend Stoff für fruchtbare Kunstbetrachtungen.“

Zitate und Dokumente

Aus folgenden Passagen aus der Geschworenenszene des Films sind dessen rassistische Ausrichtung und die Verteidigung der „Euthanasie“ deutlich ablesbar:

Studienrat Schönbrunn: „Euthanasie - von Thanatos - Tod, griechisch ... Sehen Sie, meine Herren, bei den alten Griechen und Römern war das erlaubt.“

Ein Major: „Unsere Vorfahren waren eben in vieler Beziehung vernünftiger als wir.“

Als ein Bauer Einwände erhebt („Gott will es. Er schickt das Leid, damit die Menschen seinem Kreuze nachfolgen und zu ewiger Seligkeit gelangen.“), erwidert der Major: „Mein lieber Herr ... Ihr Christentum in allen Ehren, ich bin selbst nicht ganz frei davon - aber für so grausam möchte ich den lieben Gott nicht halten.“

Ein Förster: „Meine Herren, wenn wir Förster ein Tier angeschossen haben, und es quält sich noch rum, dann geben wir ihm eine Gnadenkugel, und wer das nicht tut, der ist ein roher Kerl und kein ehrlicher Weidmann.“

Der Major: „Der Staat hat einfach die Pflicht, zunächst einmal für die Leute zu sorgen, die überhaupt der Staat sind - für die Arbeitenden nämlich und was die betrifft, die gern sterben wollen, weil sie mal gesund waren und es nun nicht mehr aushalten können - da meine ich, dass der Staat, der von uns eine Pflicht zu sterben fordert, uns auch ein Recht zu sterben einräumen müsste - ... Ich bin ein alter Soldat und weiß, was ich sage.“

Einordnung

Rolf Giesen und Manfred Hobsch beurteilen den Film aus heutiger Sicht so:

„Entgegen den genannten Beschönigungen von Regisseur Liebeneiner entstand dieser Film unter der Federführung der ‚Kanzlei des Führers‘, deren Leiter, Philipp Bouhler, ein entschiedener Befürworter der Euthanasie und mit Goebbels befreundet war. Goebbels notierte am 31. Januar 1941, die ‚stillschweigende Liquidierung von Geisteskranken‘ betreffend: ‚80.000 sind weg, 60.000 müssen noch weg. Das ist eine harte, aber auch notwendige Arbeit. Und sie muss getan werden.‘ Am 14. Februar 1941 hatte er das dazu passende Filmprojekt schon angeschoben: ‚Mit Liebeneiner einen neuen Filmstoff besprochen. Ein sehr schwieriges und heikles, aber auch ein sehr dringendes Thema. Ich gebe Liebeneiner einige Richtlinien.‘ Ich klage an! sollte eigentlich den psychologischen Widerstand, die ablehnende Haltung vieler Menschen gegenüber der Euthanasie aufzuweichen helfen, doch der im Osten stockende Vormarsch und eine flammende Rede des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen, der sich am 3. September 1941 entschieden gegen die Euthanasie gewandt hatte, ließen ein offenes Vorgehen als nicht mehr opportun erscheinen. Die Propaganda wirkte nur mehr indirekt.

Der Propagandafilm zur Euthanasiefrage entstand auf Initiative von Mitarbeitern der berüchtigten ‚Aktion Gnadentod‘, aber Regisseur Wolfgang Liebeneiner hat sich auch später noch zu diesem Film bekannt, der für ihn ‚ein Dokument der Humanität in einer inhumanen Zeit‘ war. Allerdings räumte er ein, man könne darüber streiten, ‚ob es richtig und ob es klug war, einen solchen Film gerade in der Nazizeit zu machen‘. Den NS-Behörden diente der Film zur Rechtfertigung ihrer systematischen Vernichtung von Geisteskranken sowie zur psychologischen Vorbereitung eines ‚Sterbehilfegesetzes‘. Obwohl der Film ein ‚offenes Ende‘ hat und zu dem angesprochenen Problem nicht abschließend Stellung bezieht, sind die Akzente doch so verteilt und werden die Sympathien der Zuschauer so gelenkt, dass sie den Unterschied zwischen der Tötung auf Verlangen und der ‚Vernichtung unwerten Lebens‘, die damals geplant und propagiert wurde, nicht klar sehen können. Ein Geschworener sagt im Film: ‚Ja, wenn einer verrückt ist oder schwermütig oder sonst keinen freien Willen mehr hat, da muss eben der Staat die Verantwortung übernehmen.‘ Bis zum August 1941 waren schätzungsweise 80.000 bis 100.000 unheilbar Kranke aus den Anstalten geholt und getötet worden. Wolfgang Liebeneiner, der unbehelligt nach dem Ende des Dritten Reiches weitere Filme drehte, hielt während der Dreharbeiten permanent Kontakt zu dem SS-Standartenführer Viktor Brack, dessen Aufgabe es war, dem Streifen als Test für die öffentliche Meinung eine eindeutige Tendenz zu geben.

Wie weit Brack selbst in die praktische Durchführung des Euthanasieprogramms verstrickt war, zeigte ein Brief, in dem Brack von Heinrich Himmler den Befehl erhalten hatte, die Anstalt Grafeneck zu schließen (dort waren zuvor die Patienten des Krankenhauses ermordet worden), um dem Gerede in der Umgebung ein Ende zu setzen. Der Film Ich klage an! gewann beim Festival von Venedig 1941 den Preis der Nation. Eine Sprachregelung des z. November 1941 seitens der NSDAP gab vor: ‚Das im Film angeschnittene Problem darf weder positiv noch negativ behandelt werden, sondern der Film soll nur rein sachlich besprochen werden. Der Film behandelt das Problem der ‚Euthanasie‘. Dieser Ausdruck ist keineswegs zu gebrauchen ...‘ Demgegenüber berichtet der ‚Film-Kurier‘ am 22. November 1941 über eine Sondervorstellung der Breslauer Pressestelle der Tobis: ‚Ein umfassender Kreis von Sachverständigen war geladen und erschienen. Die Gauleitung und das Oberpräsidium waren ebenso hervorragend vertreten wie das Oberlandesgericht, die Staatsanwaltschaft und das Erbgesundheitsgericht. Vor allem aber waren die Mediziner der Einladung gefolgt. Man sah die Chefs wohl aller Universitätskliniken, der Breslauer Krankenhäuser und Lazarette neben den bekanntesten Spezialärzten.‘

Die Polizeimeldungen stellten fest, ‚dass der größte Teil der deutschen Bevölkerung der Tendenz des Films grundsätzlich, wenn auch mit manchen Vorbehalten, zustimmt, dass man schwer leidenden Menschen, für die es keine Heilung mehr gibt, auf einem durch Gesetze vorgezeichneten Wege einem rascheren Tod zuführen möge ... Die Stellungnahme der Kirche, sowohl der katholischen als auch der evangelischen, ist meist völlig ablehnend. Wie berichtet wird, machen die katholischen Geistlichen durch Hausbesuche den Versuch, einzelne Volksgenossen vom Besuch des Films abzuhalten ...‘

Die Probleme der Euthanasie wurden nach „Ich klage an!“ vom NS-Film nicht mehr berührt. Die Militärregierung der Alliierten untersagte 1945 die Aufführung des Films.“

Gerhard Stahr ueteiolt:

„Der Film erhielt die Prädikate ‚künstlerisch wertvoll, volksbildend, feiertagsfrei‘. Die Premiere fand am 29. August 1941 im Berliner ‚Capitol-Palast‘ statt. Erst am 2. September gab das Reichspropagandaamt den Zeitungsredaktionen die Presseanweisung zum Film bekannt: ‚Die Besprechung des Films ‚Ich klage an‘ wird nunmehr freigegeben ... Das in dem Film angeschnittene Problem darf weder positiv noch negativ behandelt werden, sondern der Film soll rein sachlich besprochen werden. Der Film behandelt das Problem der ‚Euthanasie‘. Dieser Ausdruck ist keineswegs zu gebrauchen. Dagegen kann erwähnt werden, dass in dem Film das Problem angeschnitten wird, ob einem Arzt das Recht zugestanden werden kann, auf Wunsch unheilbar Kranker deren Qualen zu verkürzen. Bei Behandlung dieses Films ist natürlich größter Takt am Platze.‘“

Die zurückhaltende Sprachregelung der Presseanweisung deutet an, dass der Film zwei Funktionen zu erfüllen hatte. Er hatte nicht nur die Aufgabe, den ‚Euthanasie‘-Gedanken zu popularisieren, durch die Beobachtung der Publikumsresonanz auf die Vorführungen sollte zugleich ermittelt werden, wie sich das aktuelle Meinungsbild zu der vom Staat betriebenen Tötung von Behinderten und Geisteskranken in der Bevölkerung darstellte. Wie bei keinem anderen NS-Film wurden die Publikumsreaktionen auf den Film ‚Ich klage an‘ aufgezeichnet; diese Reaktionen wären durch eine dröhnende Pressekampagne verfälscht worden.

Der SD gab am 15. Januar 1942 in einem Anhang zur Nr. 251 der ‚Meldungen aus dem Reich‘ seine Bewertung der Publikumsresonanz auf den Film, die in ihrer Ausführlichkeit ein einmaliges Dokument in der Rezeptionsforschung des Dritten Reiches darstellt. Allgemein bewertete der SD die Aufnahme beim Publikum positiv. Der Film habe ‚stärkste Beachtung‘ gefunden, werde ‚durch Mundpropaganda‘ weiterempfohlen und intensiv besprochen. Es zeige sich, ‚dass der größte Teil der deutschen Bevölkerung der Tendenz des Films, wenn auch mit manchen Vorbehalten, zustimmt, dass man schwerleidenden Menschen, für die es keine Heilung mehr gibt, auf einem durch Gesetze vorgezeichneten Weg einem raschen Tode zuführen möge‘. Im Folgenden wurde jedoch die zunächst so umfassend konstatierte positive Resonanz für einzelne Bevölkerungsgruppen zurückgenommen. Vor allem die Kirchen - die katholische deutlicher als die evangelische - lehnten den Film nahezu einhellig ab. Es komme zu regelrechten Boykottaufrufen durch katholische Geistliche, die durch Hausbesuche versuchten, die Gläubigen vom Kinobesuch abzuhalten. Hervorgehoben wurden die jede ‚Euthanasie‘ scharf verurteilenden Äußerungen des münsterschen Bischofs Graf von Galen. In katholischen Gebieten werde sogar vermutet, der Film stelle einen Rechtfertigungsversuch des Staates gegenüber dem Bischof dar.

Tatsächlich übertrieb der SD die vom katholischen Klerus getragene Ablehnung des Films keineswegs. Der Berliner Bischof Konrad von Preysing schrieb im Oktober 1941 in der ‚Information des Klerus im Bistum Berlin‘, dass gegen den Film, der eine ‚treffsichere und unaufdringliche Propaganda für die Euthanasie und die Vernichtung des ‚lebensunwerten Lebens‘‘ darstelle, entschieden Stellung zu beziehen sei. Auch in einer öffentlichen Predigt, die er am 2. November 1941 in der St.-Hedwigs-Kathedrale hielt, sprach von Preysing dem Staat jedes Recht zur Tötung sogenannten lebensunwerten Lebens ab. Viele katholische Pfarrer nutzten die ihnen noch zur Verfügung stehenden Einflussmöglichkeiten, um die Gläubigen von dem Besuch des Films abzuhalten. Einige wurden für ihre Haltung vor den Sondergerichten angeklagt und wegen ‚Heimtücke‘ und ‚Kanzleimissbrauchs‘ mit Gefängnisstrafen belegt. Auch evangelische Geistliche hatten diesen Preis für ihren Mut zu zahlen. Der Pfarrer an der Petruskirche in Berlin-Lichterfelde, Gustav von Lutzki, warnte Konfirmanden seiner Gemeinde vor dem Besuch des Films ‚Ich klage an!‘. Es sei falsch, Menschen, auch wenn sie noch so krank seien, zu töten. Nach der Denunziation bei der Gestapo durch einen seiner Konfirmationsschüler wurde von Lutzki, der zur Bekennenden Kirche gehörte, vor dem Sondergericht III beim Landgericht Berlin angeklagt. Unter anderem weil er durch seine Äußerungen zu dem Film ‚Ich klage an‘ Misstrauen gegen staatliche Stellen, besonders gegen die Genehmigungs- und Zensurinstanz RMVP, gesät und damit ‚das Gefühl der öffentlichen Sicherheit in seinem Bestände‘ gefährdet habe, verurteilte ihn das Gericht am 27. Juli 1942 wegen Kanzleimissbrauchs und Vergehens gegen § 2 des Heimtückegesetzes vom 20. Dezember 1934 zu zwei Jahren Gefängnis.

Worum es in dem Film tatsächlich ging, das Recht des Staates zur Tötung kranker Menschen, war nach dem SD-Bericht allen Bevölkerungsschichten klar. Dieser Tendenz stimme die Mehrheit zu, aber auch sie äußere Vorbehalte, die eine massive Kritik an der bisher geübten Praxis beinhalte.

Die große Besucherzahl des Films lässt sich also keineswegs als Zeichen der Zustimmung werten. ‚Ich klage an‘ rangiert in der Liste der zwischen 1940 und 1942 meistgesehenen Spielfilme an elfter Stelle; etwa 18 Millionen Besucher sorgten dafür, dass 5,3 Millionen Reichsmark eingespielt wurden. Es scheint dem Film gelungen zu sein, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von der zunehmend verdeckt durchgeführten Vernichtungsaktion abzulenken und die ‚Euthanasie‘ wieder zu einem privaten Problem zu machen.“[2]

Fußnoten

[1] Angaben nach Giesen/Hobsch, Hitlerjunge, S. 334ff. und http://de.wikipedia.org/wiki/Ich_klage_an_%281941%29

[2] Stahr, Volksgemeinschaft, S. 220ff.

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