Ein achtjähriger Antisemit
Günther Roos wuchs in einer vom katholischen Milieu geprägten Großfamilie auf, deren Angehörige – zumindest bis 1933 - mit vielen der in Brühl wohnenden Juden oftmals enge Kontakte unterhielt. Das hinderte den gerade Achtjährigen aber nicht daran, im Sog der allgemeinen Stimmung schnell in antisemitisches Fahrwasser zu gelangen.
Hier schildert er zunächst die in der Rückschau eigenartig anmutende Koexistenz von dem freundnachbarschaftlichen Verhältnisse, das Familie Roos mit Juden in Brühl pflegte, und massiven antisemitischen Anwandlungen, die spätestens 1933 in die scheinbar so intakte Kleinstadtwelt eindrangen und insbesondere auch die Kinder und Jugendlichen erfassten. Man kaufte weiterhin „beim Juden“ und nahm wie selbstverständlich an Beisetzungen jüdischer Nachbarn teil. Zugleich scheute man aber nicht davor zurück, die von NS-Seite initiierten Boykottaktionen zumindest in propagandistischer Hinsicht zu unterstützen.
Bedeutungsvoll war für Günther Roos in dieser Hinsicht der „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933. Zum einen geriet er am Abend dieses Tages eher zufällig als kleiner Fackelträger in den Aufmarsch der Brühler NS-Bewegung und skandierte bei dieser Gelegenheit wie selbstverständlich auch antisemitische Parolen. Noch bedeutsamer dürfte es aber wohl gewesen sein, dass er am Sonntag darauf in der Familie zur Demonstration seines Tuns aufgefordert wurde. Die Vorführung des achtjährigen Kindes amüsierte die Erwachsenen offenbar, und deren wohl eher gespielte Empörung dürfte den kleinen, überraschend zum „Pimpf“ aufgestiegenen Günther, ohne dass er den Sinn der von ihm skandierten Slogans verstanden hätte, in seinem Tun und Denken eher angefeuert, als zurückgehalten haben.
Im Brühler Jungvolk nahm die Vermittlung des Antisemitismus einen wichtigen Platz ein. So wurden Tagungen und „Kameradschaftstreffen“ oftmals mit antisemitischen Liedern eingeleitet, die Günther Roos bis ins hohe Alter auswendig rezitieren und vorsingen konnte.
Diese permanente antisemitische Beeinflussung, zu der auch sein Vater einen guten Teil beigetragen haben dürfte, zeigte deutliche Wirkungen. Die Langzeitwirkung des ihm damals vermittelten Antisemitismus, so musste Günther Roos eingestehen, habe sehr lange angehalten und sei in einigen Teilen nie in Gänze abgebaut worden.