Der „Tag von Potsdam“ und die Inszenierung der Macht
Am 21. März 1871 hatte einige Wochen nach der Ausrufung des „Ersten“ Deutschen Reichs und der Proklamation des Kaisers die erste Sitzung des neuen Reichstags stattgefunden. 62 Jahre später bestimmte das neue NS-Regime genau dieses Datum, um den ersten Reichstag des „Dritten Reichs“ zu eröffnen. Zum Auftakt des Tages wählten die neuen Machthaber mit Potsdam außerdem den Traditionsort preußischer Geschichte schlechthin aus. Hier sollte am „Tag von Potsdam“ die symbolträchtige Verbindung „vom alten und neuen Deutschland“, von konservativem Traditionsbewusstsein und nationalsozialistischem Erneuerungswillen vollzogen werden.
So wurde der 21. März 1933 im öffentlichen Bewusstsein zu einem der ereignisreichsten und wichtigsten Tage der frühen NS-Zeit. Zunächst trafen am Morgen des Tages die neu gewählten Reichstagsabgeordneten zu einem Gottesdienst in der Potsdamer Garnisonkirche zusammen, was deutlich an preußische Traditionen anknüpfte. Vor der Kirche bekräftigte ein symbolischer Händedruck zwischen dem in Zivil erschienen Hitler und Hindenburg den „Bund des Marschalls mit dem Gefreiten“. Der von kaiserlichen schwarz-weiß-roten und von Hakenkreuzfahnen umrahmte Festakt erhob das NS-Regime so zum scheinbar legitimen Nachfolger des 1918 untergegangenen Kaiserreichs.
Weil das Reichstagsgebäude aufgrund des Brands vom 27. Februar nicht zur Verfügung stand, eröffnete Parlamentspräsident Hermann Göring am Nachmittag den in die Berliner Kroll-Oper ausgewichenen Reichstag. Schon äußerlich wurde dabei der politische Wandel und dessen Folgen vor Augen geführt, prangte an der Stirnseite des Saals doch eine riesige Hakenkreuzfahne. Vor dieser erklärte Göring, die „heilige Flamme der nationalen Revolution“ habe das deutsche Volk ergriffen und 14 Jahre der Not seien nunmehr überwunden.
Sämtliche deutsche Radiosender übertrugen die Ereignisse in Potsdam und Berlin über den ganzen Tag verteilt in voller Länge. Reichsweit waren sämtliche öffentlichen Gebäude in schwarz-weiß-rot und mit Hakenkreuzfahne beflaggt, die Kinder hatten schulfrei und am Abend fanden allerorten nationalistisch geprägte Fackelzüge statt – so auch in Brühl, wo der achtjährige Günther Roos erstmals in unmittelbaren Kontakt mit einer NS-Inszenierung kam, an der er, ohne den Inhalt zu verstehen, mit Begeisterung teilnahm.
Alles in allem stellte der „Tag von Potsdam“ eine perfekte Inszenierung dar, die in der Bevölkerung die Hoffnung auf die Überwindung der nationalen Zerrissenheit schürte. Fortan galt Adolf Hitler einem großen Teil der Bevölkerung als gesandter und legitimer „Führer“.
Mit dem „Tag von Potsdam“, so ist zahlreichen Schulchroniken deutlich zu entnehmen, hielt der Hitlerkult auch Einzug in die Schulen. Hinsichtlich der zu diesem Anlass in jeder Schule abzuhaltenden Feierlichkeiten hieß es aus dem Berliner Erziehungsministerium: „Die Schulfeiern müssen so ausgestattet sein, dass allen Schülern bewusst wird, dass sie hier den Beginn einer neuen Epoche deutscher Geschichte unter dem Zeichen des völkischen Staatsgedankens mit erleben.“ Ein Kölner Schulchronist erhob den 21. März 1933 gar in die Sphären eines religiösen Akts: „Wir hören die Glocken von Potsdam eine neue Zeit einläuten, eine Zeit, in der der Name des deutschen Reichskanzlers Adolf Hitler mit unverlöschlichen Buchstaben in ewige Tafeln geschrieben ist." Ein anderer empfand den Tag als „nationale Auferstehung".
NS-inspirierte Festakte folgten nun in schneller Folge und durchdrangen in Form eines neu etablierten NS-Feierkalenders sämtliche gesellschaftliche Schichten. Auch das lässt sich besonders gut und deutlich an der Ausgestaltung schulischen Lebens ablesen. Fortan war der Alltag von Volksschulen und weiterführenden Schulen stark von Veranstaltungen geprägt, die seitens des NS-Regimes initiiert waren.