Fortsetzung 1935/36
Trotz der von Schulseite betonten positiven Erfahrungen, erfuhren die Nationalpolitischen Lehrgänge zunächst keine Fortsetzung. Und nachdem der Oberpräsident dann im Mai und Juni 1935 genauere Richtlinien hinsichtlich deren Zweck und erneuten Durchführung erlassen hatte, musste der zwischenzeitlich zum Schulleiter aufgestiegene Professor Raestrup am 28. Juni 1935 nach Münster mitteilen, dass am Bocholter Gymnasium im aktuellen Schuljahr lediglich vier Klassen bereit seien, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Das geringe Interesse, so fügte er entschuldigend hinzu, erkläre sich dadurch, „dass manchen Eltern die Kosten zu hoch sind und sie dieselben nicht aufbringen können oder wollen“. Dass das nicht der einzige Grund für eine Nichtbeteiligung war, ging aus den weiteren Ausführungen des Direktors hervor, der einräumen musste, dass auch einige Schüler jener Klassen, die generell zur Teilnahme bereit seien, eine Teilnahme verweigern würden, „besonders die Schüler, die zugleich Zöglinge des Kapuzinerklosters sind, weil die Leitung des Klosters ihr Einverständnis nicht erteilt“. Über die Einrichtung und Bedeutung der Lehrgänge seien die Eltern im Übrigen in einer Versammlung der Schulgemeinde „hinreichend aufgeklärt“ worden. Raestrup gab sich optimistisch: „Wenn nunmehr Schulsparkassen eingerichtet werden, steht zu erwarten, dass im nächsten Schuljahre alle Klassen U II – O I an den Lehrgängen teilzunehmen bereit sind.“
Am 30. September 1935 nahm auch die Gesamtlehrerkonferenz des Bocholter Gymnasiums zu Sinn und Durchführung Nationalpolitischer Lehrgänge generell und ausführlich Stellung. Dabei ließ man keinen Zweifel daran, dass diese Lageraufenthalte „viel zur praktischen Erziehung zur Volksgemeinschaft und zu nationalsozialistischer Lebenshaltung“ beitragen würden, weshalb ausdrücklich begrüßt wurde, dass sie nunmehr zur ständigen Einrichtung werden sollten, an der alle Oberstufenschüler teilzunehmen hätten. Wenn die Teilnahme tatsächlich zur Pflicht gemacht würde, sah das Kollegium auch die „auf Dauer nicht tragbaren“ Probleme mit den Klosterschülern als gelöst an, von denen zu dieser Zeit 36 die Oberstufenklassen besuchten, und die sämtlich eine Teilnahme an den Lehrgängen ablehnten.
Zugleich fühlte man sich berufen, dem Provinzialschulkollegium Vorschläge für die Zukunft der Maßnahme zu unterbreiten. „Da die Teilnahme an den Lehrgängen für die Klassen U II – O I zur Pflicht gemacht wird, werden die Schüler, welche die ganze Anstalt durchlaufen, viermal diese Lehrgänge besuchen. Diese viermalige Teilnahme erfordert eine Planung für 4 Jahre. Darum muss die Teilnahme von vornherein so geregelt werden, dass die Schüler nicht viermal dasselbe Lager besuchen, und dass der Schulungsstoff nicht doppelt geboten wird.“ Daher seien die Inhalte auf diese vierjährige Lehrgangsphase hin zu planen, wobei allerdings am übergreifenden Sinn dieser dann als Zwangsveranstaltung geltenden Lehrgänge keinerlei Zweifel gelassen wurde: „In den Lehrgängen soll der Nationalsozialismus in erster Linie erlebt werden an Hand der jeweilig anstehenden Schulungsidee.“
Und auch die Abteilung für das höhere Schulwesen im Oberpräsidium der Rheinprovinz ließ Anfang März 1936 in einem von ihr ausgearbeiteten Plan zum Thema „Vorträge und Arbeitsgemeinschaften über nationalpolitische Schülerlehrgänge“ keinerlei Zweifel an der grundlegenden Intention der Schulungslager aufkommen. Die „nationalpolitischen Schülerlehrgänge“ hätten, so hieß es einleitend unmissverständlich die vorrangige Aufgabe, „die Schüler durch kameradschaftliches Zusammenleben in militärischer Ordnung, durch Marsch- und Geländeübungen, durch die Lieder und das Schrifttum der Bewegung zu nationalsozialistischer Haltung zu erziehen“.
In Bocholt dauerte es bis zum Frühjahr 1936, bis die oberen Klassen des Gymnasiums vom 9. bis zum 29. Mai wieder in fünf verschiedenen westfälischen Jugendherbergen an einem neuen Nationalpolitischen Lehrgang teilnahmen. Über dessen Verlauf und Beurteilung ist den Quellen leider nichts zu entnehmen; die entsprechende Akte im Schularchiv bricht mit einem Text zur Ankündigung des Lehrgangs in der Lokalpresse ab. Im Dezember 1936 wurden diese Erziehungslager durch ministerielle Verfügung dann reichsweit eingestellt.
Insgesamt wird man nach Lage der Quellen kaum sagen können, dass die Leitung und das Kollegium des Bocholter Gymnasiums den Nationalpolitischen Lehrgängen kritisch oder gar ablehnend gegenübergestanden hätte. Wenn überhaupt, waren es Teile der Elternschaft, die eine solche Form der Lagererziehung für ihre Söhne ablehnten.