Die Alternative: Nationalpolitische Wanderung (1938)

Nachdem die Nationalpolitischen Lehrgänge Ende 1936 abgeschafft worden waren, hieß das nicht gleichzeitig, dass entsprechende „Schulungs“-Bestrebungen nun aus dem Schullalltag verschwunden waren.

Ein Beispiel vielsagendes hierfür stellt ein Heft dar, in dem eine „Nationalpolitische Wanderung“ der Klasse 2a der Essener Krupp-Oberschule im September 1938 dokumentiert wurde. Ein Bestandteil der dreitägigen Unternehmung bestand darin, dass einzelne Schüler ihre Erlebnisse während der Wanderung nach deren Abschluss zu Papier bringen mussten, die Klassenlehrer Dr. Paul Schonefeld dann seinen um Abbildungen ergänzten eigenen Ausführungen hinzu- und zu einem umfangreichen Gesamtwerk zusammenfügte.

Der Leiter der Wanderung war 1908 geboren worden, im Oktober 1931 als Referendar in den Schuldienst eingetreten und zwei Jahre später als Studienassessor an der Alfred-Krupp-Oberealschule angestellt worden. Zum Jahresbeginn 1939 wurde er zum Studienrat, im April 1943 zum Oberstudienrat befördert.

Schonefeld gehörte seit Mai 1933 dem NS-Lehrerbund an und trat mit Datum vom 1. Mai 1937 in die NSDAP ein. Das sei, so erklärte er nach Kriegsende, „nicht aus politischer Überzeugung“ geschehen, „sondern um meine Anstellung als Studienrat zu ermöglichen“.

Am 8. September 1938 machte sich der Lehrer, nachdem eine ähnliche Wanderung im Vorjahr ins nördliche Ruhrgebiet geführt hatte, mit seiner Klasse von Essen aus auf eine dreitägige Wanderung nach Burg an der Wupper.

Was auf den ersten Blick sehr harmlos daherkommt, trug deutliche militärische Züge und war ideologisch hoch aufgeladen. Natürlich wanderte man nicht, sondern „marschierte“ mit aufgeschnallten „Affen“ eine Strecke von immerhin rund 15 Kilometern. An der Müngstener Brücke wurde den Jungen von ihrem Lehrer „die gewaltige Leistung deutscher Technik“ vor Augen geführt, und am ersten Übernachtungsziel Schloss Burg angekommen, fand man dort ein „ausgezeichnetes Gelände mit Büschen, Sträuchern und Heide“, das „zum Kriechen und Schleichen wie geschaffen“ war. Daher fand direkt ein „Geländespiel“ gegen die offenbar ebenfalls auf Wanderschaft befindliche Parallelklasse 2b statt.

Der „lustige Heimabend“ nach dem Abendbrot wurde von der örtlichen Hitlerjugend durchgeführt, bis durch Fanfarenstoß der Zeitpunkt zum Einholen der Fahne angekündigt und zum „Zapfenstreich“ geblasen wurde. Der nächste Tag begann – ganz lagermäßig - entsprechend mit Bettenbau und Flaggenappell. Nach dem Frühstück ging es zum anderthalbstündigen „Straf-Exerzieren“, weil die Schüler am Vorabend nach dem „Zapfenstreich“ noch „bis zwölf Uhr nachts geschwätzt“ hatten. Der weitere Tagesverlauf ähnelte dann jenem des Vortags: Einem „3-stündigen Marsch ohne Gepäck“ folgte ein weiteres Geländespiel gegen die 2b. Die Schülerberichte darüber lesen sich wie Schilderungen tatsächlicher militärischer Schlachten.

Als auf dem Rückweg zur Jugendherberge eine Gruppe vom vorgegebenen Weg abwich, um als erste dort anzukommen, stand die nächste Bestrafung an: „Zur Strafe, dass wir uns der Führung nicht angeschlossen hatten und eigenen Weg gegangen waren, bekamen wir am Abend und am anderen Morgen Spüldienst.“ – In einem Führerstaat galt es den Befehlen der Führer unbedingt zu folgen!

Am Abschlusstag folgte nach dem Abschied vom „Standquartier“ ein neuerlicher Dreistunden-Marsch, der an mehreren der in damals in Bau befindlichen Autobahnbrücken der heutigen A 1 vorbeiführte: „ein großartiges Bild von urtümlicher Kraft und elastischem Schwung, von gewaltiger technischer Leistung des 3 Reiches“.

Nach 1945 erwuchsen Schonefeld aus seinem Engagement während der NS-Zeit – er war während des Krieges zudem als Lagerleiter in der Kinderlandverschickung tätig - zunächst einige Schwierigkeiten, die nicht zuletzt daher rührten, dass er vom 9. September 1934 bis zum 15. Juni 1935 auch als „Heimassessor der nationalpolitischen Lehrgänge für Lehrer“ an der Fichteschule in Kettwig tätig gewesen war. Daher war man seitens der Essener Stadtverwaltung bestrebt, den Lehrer trotz dessen zunächst vollzogener völligen politischen Entlastung und Einordnung in die Entnazifizierungskategorie V einer intensiveren Überprüfung zu unterziehen.

Der Versuch blieb letztlich jedoch folgenlos, auch wenn Paul Schonefeld zunächst auch nur als Studienrat und nicht in der im April 1943 erlangten Position eines Oberstudienrats beschäftigt wurde. Diese Rückstufung wurde dann aber 1954 aufgehoben und schadete auch der weiteren Karriere nicht: Am 31. Januar 1961 wurde Dr. Paul Schonefeld zum Oberstudiendirektor und damit zum Leiter der renommierten Goethe-Schule in Essen ernannt.[1]

Eine vollständig transkribierte Fassung des Fahrtenbuchs mit allen Faksimiles finden Sie bei Interesse hier. Hierzu öffnet sich dann ein neues Fensteraus dem Web-Auftritt "Jugend in Deutschland 1918-1945".

Fußnoten

[1] Sämtliche Informationen zu Paul Schonefeld wurden von dessen Neffen zusammengetragen und – wie auch das Heft selbst - dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln zur Verfügung gestellt.

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